Heute veranstalteten wir in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und dem Zusammen gegen Rechts-Bündnis zum vierten mal in Folge eine Gedenkkundgebung vor dem ehemaligen KZ in Welzheim. Im Vorfeld mobilisierten wir die Welzheimer Bevölkerung durch Flyer in Briefkästen, Plakaten im Stadtbild und Geschäften, Sprühtransparenten am Straßenrand, mit einer Betriebsverteilung bei der Christian Bauer GmbH und durch persönliche Gespräche bei einem Infostand auf dem Welzheimer Markt.

Eine Genosse der VVN-BdA thematisierte in der ersten Rede die Hintergründe des KZ Welzheims und des kommunistischen Widerstandskämpfers Hermann Schlotterbeck, nach dem der Platz vor dem KZ benannt ist. Außerdem beschrieb er die Anstrengungen von Antifaschist:innen für eine sichtbare Erinnerungskultur in Welzheim. Unsere Rede ging auf die Kontinuität von Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft ein und wies explizit auf die starken antisemitischen Tendenzen in der verschwörungstheoretischen Querdenkenströmung und faschistischen Terror hin, die komplette Rede findet ihr unten. Die Rede der Antifaschistischen Perspektive Rems-Murr/Ludwigsburg befasste sich mit der Funktion des Antisemitismus als gesellschaftlicher Blitzableiter, der den Unmut der Bevölkerung über die Zumutungen des Kapitalismus auf Jüd:innen ableitet. Die Kundgebung wurde musikalisch mit einer Gitarre durch einen antifaschistischen Kollegen begleitet.

In der Nacht auf den 9. November haben laut einem Bericht auf Indymedia Antifaschist:innen ein Schild an der Straße Richtung Rudersberg beim Henkersteinbruch angebracht. Dort ermordeten die faschistischen Schergen eine Vielzahl an Insassen des KZs. Bis gestern war die Gedenkstätte von der Straße aus leider kaum wahrnehmbar, das hat sich nun, dank antifaschistischem Engagements geändert.

Im Anschluss an die Reden begab sich die gesamte Kundgebung in Form eines Gedenkgangs selbstbestimmt zur Friedhofsgedenkstätte, an der wir mit Blumen- und Kerzenniederlegung und einer Schweigeminute das würdige Gedenken gemeinsam abschließen konnten.

Wenn auch du Interesse an antifaschistischer Gedenkkultur und Aktionen gegen Rechts hast, komm zum Offenen Antifaschistischen Treffen Rems-Murr am nächsten Dienstag, den 16. November, um 19 Uhr in die Fronackerstraße 60 in Waiblingen und bring dich ein!

 

Für eine antifaschistische Gedenkkultur!

Erinnern heißt kämpfen!

Nie wieder Faschismus!

 


Liebe Welzheimerinnen und Welzheimer,
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

Das Schloß springt bald / ob’s noch so sehr vergittert / geh deine Bahn / aufrecht und unerschüttert

Diese Worte ritzte ein unbekannter Häftling des KZ Welzheim in ein Holzbrett im alten Amtsgerichtsgefängnis, direkt hier am Hermann-Schlotterbeck-Platz. 83 Jahre nach der blutigen Reichspogromnacht, haben wir uns heute zusammengefunden, um an die damaligen Verbrechen zu erinnern. Diese Nacht der Gewalt bildete den Wendepunkt von der Diskriminierung zur systematischen und brutalen Verfolgung Menschen jüdischen Glaubens. Die industrielle Vernichtung in Auschwitz, Treblinka, Buchenwald und vielen weiteren Lagern bildete den Schlussstein der faschistischen Menschenverachtung. Die Geschehnisse der Reichspogromnacht sind untrennbar verbunden mit Auschwitz, mit dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, mit der Terrorherrschaft in Deutschland und dem besetzten Europa, kurz gesagt mit den Verbrechen des Faschismus an der Macht.

Die Nazis sprachen nach den Vorkommnissen von spontan entstandenem Volkszorn auf die jüdische Bevölkerung Deutschlands. In Wahrheit war die Reichspogromnacht durch die NSDAP von langer Hand geplant und wurde schließlich von SA und SS ausgeführt. Der Hass auf Jüd:innen, der Antisemitismus, wurde von den Faschisten genutzt, um die berechtigte Wut des Volkes über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise von 1929 wie Massenarbeitslosigkeit von dem verantwortlichen System, dem Kapitalismus, abzulenken. Statt den Konzernchefs und Banken, die für die Misere verantwortlich waren, wurden Menschen jüdischen Glaubens als Schuldige dargestellt, die als heimliche Weltherrscher den Deutschen nur Böses wollen würden.

Natürlich sind wir heute weit entfernt von Auschwitz, Buchenwald & Co, doch Antisemitismus ist immer noch kein Ding der Vergangenheit. Ob Holocaustrelativierungen in Form von ungeimpft-Davidsternen bei Querdenken-Demos oder der Anschlag auf eine Synagoge in Halle am höchsten Feiertag im jüdischen Glauben, Jom Kippur, mit zwei Todesopfern: Die tödliche Gefahr des Judenhasses gibt es weiterhin.

Es sind aber nicht nur einzelne Terroristen des rechten Lagers, die mit Gewalt das Volk unterdrücken: 2018 griffen Neonazis im Rahmen der rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz ein jüdisches Restaurant mit Flaschen und Steinen an und verletzten den Wirt. Organisierte Faschisten machten mit Hooligans gemeinsame Sache bei einer Querdenker-Demonstration letzten Herbst in Leipzig und trainierten zu tausenden den Kampf auf der Straße. In Italien stürmte ein neofaschistischer Mob nach einer Demo von Impfgegnern ein Gewerkschaftshaus und verwüstete dieses.

Auch bei uns im Ländle gibt es gewaltbereite Nazis. Im Februar 2020 wurde die sogenannte Gruppe S. aufgedeckt, die sich auf einem Grillplatz bei Alfdorf gründete. Für ihre Ziele – Moscheen, bürgerliche Politiker und Linke – hatten sie sich bereits auch, wie 99% aller anderen rechten Terrorzellen, ein tödliches Waffenarsenal beschafft.

Liebe Welzheimerinnen und Welzheimer, Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

dass in meiner obigen Aufzählung, vor allem was unseren Landkreis betrifft, nicht noch mehr rechte Strukturen zu finden sind, liegt an uns allen. Als vielfältige antifaschistische Bewegung die auf verschiedenen Ebenen – mit Gedenkveranstaltungen, Bildungsarbeit, Demos, Blockaden und direkten Aktionen – gegen die Ewiggestrigen und Faschisten vorgeht, konnte das offene Auftreten von Nazis innerhalb der letzten 10 Jahre hierzulande deutlich zurückgedrängt werden. Nicht weil sich die Polizei irgendwann eingemischt hat, ein Spitzenpolitiker die ultimative verbale Kante in einer Talkshow zum Besten gab oder weil die Faschisten in die öffentliche Debatte eingebunden wurden.

Selbst vor Ort, im Verein, Schule, Betrieb, im Besen Protest und Widerstand gegen den Faschismus zu leisten, ist heute immer noch von grundlegender Bedeutung. Diese Aufgabe kann und wird uns kein Verfassungsschutz abnehmen, der mit dem V-Mann-System systematisch braune Kameradschaften finanzierte, aus denen bpsw. der NSU gegründet wurde. Diese Aufgabe kann und wird uns keine Polizei abnehmen, deren Angehörige mehr damit beschäftigt sind in Whatsapp-Chatgruppen Hitlerbilder herumzuschicken, als die 475 mit Haftbefehl gesuchten Faschisten zu finden! Diese Aufgabe wird uns von keinen Parteien abgenommen, die mit Sozial- und Freiheitsrechteabbau, Kriegsbeteiligungen und Korruption glänzen und den Rechten täglich neues Futter für ihre Hetze zu liefern.

83 Jahre nach der Reichspogromnacht brauchen wir mehr Antifaschismus, mehr organisierte und aktive Antifaschistinnen und Antifaschisten auf der Straße und in den Betrieben, das ist es was wir meinen, wenn wir sagen „Erinnern heißt Kämpfen.“

Die Ereignisse der Reichspogromnacht sind unser aller Auftrag: Alle zusammen gegen den Faschismus – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln. Nieder mit dem Krieg, nieder mit dem Faschismus!