Cops, Staat, Rechte… Gegen ihren Rassismus
Rassismus existiert nicht erst seit gestern. In den letzten Jahren kam es aber zu Massenprotesten und es entstanden neue migrantische Organisationen, die den Kampf gegen gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus wieder in den Mittelpunkt vieler politischer Kämpfe gerückt haben. In diesem Interview reden wir mit Bilal über den Kontext dieser Bewegungen und über Organisierung. Bilal ist Migrant und politisch aktiv. Ein Gespräch über Rassismus, Diskriminierung und Widerstand im kapitalistischen Alltag.
Bilal, welche einschlägigen Ereignisse gibt es, die das Leben vieler Migrant:innen verändert haben?
Der rechte Terroranschlag in Hanau war ganz klar ein solches Ereignis. Nicht, dass rechter Terror in Deutschland so unwahrscheinlich ist, Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen oder die NSU Anschläge, all das kennen wir gut genug. Ein Schock war der Anschlag aber trotzdem und er hat viele junge Migrant:innen dazu gebracht, aktiv zu werden und sich zu organisieren.
Ein anderes einschneidendes Ereignis war der Mord an Georg Floyd durch einen rassistischen Bullen in den USA. In vielen deutschen Großstädten sind Tausende junge Menschen auf die Straße gegangen, inspiriert durch die Proteste in den USA. Auch hier sind viele Black Lives Matter Initiativen entstanden.
Auf der anderen Seite ist diese Frage aber auch zu einfach, denn es ist ja nicht so, als hätte es vor Hanau und George Floyd keinen Rassismus gegeben. Die lange Geschichte des Rechtsterrorismus habe ich vorhin ja schon angesprochen und es gibt natürlich auch andere rassistische Akteure. Gerade nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 sind rechte Kräfte wie die AfD in Deutschland erstarkt und haben Geflüchtete und generell „Ausländer“ zu Sündenböcken erklärt.
Man könnte ja meinen, die Antwort auf diesen Rassismus wäre ein starker „demokratischer“ Rechtsstaat und seine Institutionen wie die Polizei. Du siehst das nicht so, warum?
Der Staat und seine Institutionen wimmeln vor Rechten. In den letzten Jahren sind viele rechte Chatgruppierungen und Verbindungen in den sogenannten Sicherheitsorganen bekannt geworden. Bullen und Bundeswehrsoldat:innen sind Mitglieder in rechten Chatgruppen wie „Nordkreuz“. Diese erstellen z.B. Todeslisten, bestellen Leichensäcke und bereiten sich auf die Machtübernahme vor.
Hinzu kommt die rassistische Gewalt die direkt von Bullen ausgeübt wird. Nach der Recherche von
„Death in Custody“ sind seit 1990 in Deutschland über 181 Migrant:innen in Polizeigewahrsam „gestorben“. Zuletzt Giorgis Zantiotis am 1.11.2021. Auch im bekannten Fall Oury Jalloh wurde ja bisher niemand zur Rechenschaft gezogen und es gab nie Konsequenzen für Verantwortliche. Vor allem Initiativen von Betroffenen und Angehörigen sorgen dann für Aufklärung und kämpfen für Gerechtigkeit für die Verstorbenen.
Diese und viele andere Fälle sind nicht „Ausrutscher“ oder „Fehler“ im System. Es ist die Aufgabe der Polizei Gewalt auszuüben und die kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse zu sichern. Rassismus ist kein Fehler sondern Teil dieses Systems.
Du hast vorhin die AfD erwähnt. Welche Rolle spielt die bei diesem Thema?
Die AfD hat besonders seit der Hetze gegen Geflüchtete mit Rassismus und Nationalismus größeren gesellschaftlichen Einfluss erlangt. Durch sie erstarkt auch der gewaltbereite rechte Mob auf der Straße. Denn sie fungiert als Bindeglied zwischen den ganzen rechten Netzwerken, schafft einen Nährboden, macht menschenverachtendes Gedankengut gesellschaftsfähig und liefert finanzielle Unterstützung für zahlreiche rechte Kräfte. Besonders gefährlich ist ihre Verbindung von Rassismus und vermeintlichen Sozialforderungern. Sie versucht Wut auf Politik und über soziale Ungerechtigkeiten gegen Migrant:innen und Links zu richten.
Eines ist mir aber noch wichtig. Rassismus fängt nicht erst bei der AfD und anderen offenen Rechten oder Faschisten an. Migrant:innen haben mehr Probleme Arbeit zu finden. Wenn sie welche haben, dann ist diese oft schlecht bezahlt oder man bekommt nur befristete Verträge. Der Rassismus auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt und Schikanen
z. B. durch Jobcenter oder andere Behörden sind untragbar aber doch Alltag. Auch dieser Rassismus wird von der AfD und Nazis geschürt, „zuhause“ ist er aber genauso in der Bildzeitung und in bürgerlichen Parteien von CDU bis zu den Grünen.
Wo du gerade die Bildzeitung und bürgerliche Parteien erwähnst. In den letzten Monaten und Jahren gibt es auch aus dem „Establishment“ ein großes Bemühen, sich gegen Rassismus einzusetzen. Was sagst du dazu?
Natürlich versuchen bürgerliche Parteien und Medien, genauso wie große Konzerne das Thema „Antirassismus“ für sich zu besetzen. Neben der moralischen Absicht, etwas gegen Rassismus tun zu wollen, die ich einigen nicht absprechen möchte, steckt da aber die Absicht dahinter, die Antirassistische Bewegung abzuschwächen und ins bestehende System zu integrieren oder sogar Geld daran zu verdienen. Ein angeblicher Antirassismus, der die eigentliche Unterdrückung von uns Migrant:innen nicht anrührt, ist nichts wert. Unsere Lage und besonders die von Geflüchteten nutzen dieselben Kapitalist:innen aus, die sich auf Instagram für „Diversity“ einsetzen. Millionen Migrant:innen arbeiten zum Beispiel im Service, bei Lieferdiensten oder auf dem Bau zu miesesten Bedingungen und für Löhne, die nicht zum Leben reichen. Unter dieser Lohndrückerei leiden am Ende alle Arbeitenden.
Migrantischer Selbstschutz wird von vielen jungen Migrant:innen als Ausweg gesehen. Was versteht du darunter?
Es gibt schon länger gute Ansätze migrantischer Selbstorganisation. Es gilt diese Ansätze weiter zu entwickeln und zu ergänzen. Die früheren Erfahrungen von Antifa Genclik, die ja militanten Selbstschutz in den 1990er Jahren in armen Stadtvierteln deutscher Großstädte organisiert haben, ist ein gutes Beispiel dafür. Antifa Gençlik konnte durch offensiven militanten Selbstschutz gegen Nazis viele Migrant:innen mobilisieren und politisieren. Aber bald nach ihrer Gründung lösten sich die Strukturen wegen staatlicher Repression auf.
Selbstorganisation darf sich aber nicht nur an Nazis abarbeiten. Auch Arbeitskämpfe bieten Ansatzpunkte, denn sie vereinen uns als Klasse und erzeugen Einheit gegen rassistische Spaltung.
Am Ende muss ja das Ziel sein, Gegenmacht aufzubauen, die nicht nur die rassistischen Angriffe des Staats und der Rechten abwehren kann, sondern auch die Perspektive einer Gesellschaft schafft, an der wir unabhängig von Hautfarbe und Herkunft gemeinsam bauen und in der wir selbst entscheiden, wie wir zusammen leben wollen.
Den Artikel findet ihr auch bei Perspektive Kommunismus