Gedenkkundgebung am 9. November in Welzheim

Heute veranstalteten wir in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und dem Zusammen gegen Rechts-Bündnis zum sechsten mal in Folge eine Gedenkkundgebung vor dem ehemaligen KZ in Welzheim. Im Vorfeld mobilisierten wir die Welzheimer Bevölkerung durch zalreiche Flyer in Briefkästen, Plakaten im Stadtbild und Geschäften, Sprühtransparenten am Straßenrand, vielen persönlichen Gesprächen und einer Betriebsverteilung bei ZF in Alfdorf. 70 Welzheimerinnen und Welzheimer waren unserem Aufruf gefolgt und fanden sich auf dem Herrmann-Schlotterbeck Platz zusammen.

Ein Genosse der VVN-BdA thematisierte in der ersten Rede die Hintergründe des KZ Welzheims und des kommunistischen Widerstandskämpfers Hermann Schlotterbeck, nach dem der Platz vor dem KZ benannt ist. Außerdem beschrieb er die Anstrengungen von Antifaschist:innen für eine sichtbare Erinnerungskultur in Welzheim.

Als zweite Rede folgte unsere, welche auf die Funktion von Antisemitismus heute und unseren Widerstand dagegen einging. Die komplette Rede findet ihr unten.

Die Rede der Antifaschistischen Aktion Süd befasste sich mit einer ausführlichen Analyse der jetzigen Situation, z.B. durch die jüngsten AfD-Wahlerfolge bei den Landtagswahlen. Deren ganzen Rede findet ihr HIER.

Die Kundgebung wurde musikalisch mit einer Gitarre durch einen antifaschistischen Kollegen und Betriebsrat begleitet.

Im Anschluss an die Reden begab sich die gesamte Kundgebung in Form eines Gedenkgangs selbstbestimmt zur Friedhofsgedenkstätte. Ein Blumenkranz und Kerzen wurden mit einigen abschließenden Worten niedergelegt. Mit einer Schweigeminute auf dem Friedhof endete schließlich das würdige Gedenken. Wir bedanken uns bei allen für die Teilnahme und auch die vielen Spenden, die uns erreicht haben.

Wenn auch du Interesse an antifaschistischer Gedenkkultur und Aktionen gegen Rechts hast, komm zum Offenen Antifaschistischen Treffen Rems-Murr am nächsten Dienstag, den 14. November, um 19 Uhr in der Mayennerstr. 14 in Waiblingen und bring dich ein!

Erinnern heißt kämpfen!

Gegen Antisemitismus! Gegen Faschismus!

Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!

Liebe Welzheimerinnen und Welzheimer, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,


der 9. November 1938, die Zerstörung Tausender Synagogen, Wohnungen und
Geschäfte von Jüdinnen und Juden, jährt sich zum 85. Mal. Teilweise hatte es 1938,
etwa in hessischen Städten, schon am 7. oder 8. November pogromartige Gewalt
gegen Personen jüdischen Glaubens gegeben. Die Übergriffe, Misshandlungen und
Morde dauern häufig noch am darauffolgenden Tag an oder beginnen verzögert. Im
Anschluss an die Reichspogromnacht beginnen die deutschen Faschisten dann mit
der Internierung von Jüdinnen und Juden in KZs.


Wenige Tage später titelt der sogenannte „Völkische Beobachter“: „Alle jüdischen
Geschäfte in kürzester Frist deutsch!“. Den 9. November inszeniert der Faschismus
als Erfüllung eines einigen Willens der Deutschen durch die, die sie regieren. Anders
als von der Entlehnung „Pogrom“ suggeriert, hatte es am 9. November weniger die
spontane Entladung eines „Volkszorns“ gegeben als eine zentral gelenkte und
geplante antisemitische Maßnahme, die in der Zivilgesellschaft auf wenig
Widerstand, dafür auf Gaffer oder gar Helfershelfer gestoßen war.


Ideen jüdischer Verschwörungen und massenhafte Gewalt gegen Jüdinnen und Juden
gibt es nicht erst seit dem Faschismus. Der deutsche Faschismus aber war ein
singulärer negativer Höhepunkt antisemitischer Ideologie, Bewegung und
Herrschaft. Als völkische Begründung von Antikommunismus, von
entmenschlichender Ausbeutung und systematisiertem Massenmord scheint dieser
Antisemitismus in seiner Tragweite neu, als neue Qualität etwa gegenüber dem
christlichen Antijudaismus der Frühen Neuzeit. Der Faschismus befriedet sozusagen
erfolgreich innere kapitalistische Widersprüche durch ein totales Stereotyp.

Schuld an diesen seien demnach nicht der Widerspruch zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, zwischen Profiteuren und Unterdrückten, sondern zwischen der deutschen Volksgemeinschaft auf der einen und den Juden von außen auf der anderen Seite.
Zusätzlich exportiert die NS-Führung die Ideologie der Shoa in den arabischen Raum
und arbeitet auf eine Antisemitisierung der damals noch jungen
„Muslimbruderschaft“ hin.


Vom Antisemitismus geprägte Weltbilder haben heute nicht zuletzt unter jungen
Erwachsenen Konjunktur. Wie oft man in Deutschland den Einfluss jüdischer
Menschen für „zu groß“ und jüdische Menschen für hinterlistig oder wenigstens
fundamental anders hält, haben Erhebungen wiederholt verdeutlicht. Die BRD liegt
in Sachen antisemitischer Gewalttaten stets weit über den Vergleichszahlen aus
ihren Nachbarnationen. Allerdings lässt sich das nicht auf zugewanderte Menschen
abwälzen – weder die antisemitischen Entgleisungen bei Querdenken und Co. noch
Terrorakte wie 2019 in Halle. Im Links-Rechts-Spektrum nehmen antisemitische
Ideen nach rechts hin beinahe linear zu. Nachweislich existiert ein Zusammenhang
mit Sympathien für die AfD. Was der Verfassungsschutz unter „PMK-Ausländische
Ideologie“ fasst, macht einen kleinen Bruchteil der dokumentierten Gewalt gegen
Jüdinnen und Juden aus. Die Herrschenden, die sich im Umgang mit der eigenen
Geschichte als Vorbild aufführen dürfen, drohen aktuell den existierenden
Antisemitismus für innerpolitische und militärische Zwecke zu instrumentalisieren.

Als Antifaschistinnen und Antifaschisten orientieren wir uns im Gedenken an der
Parole „Erinnern heißt kämpfen“. Wir brauchen Raum für das Erinnern und für die,
deren politisches Vermächtnis wir hochhalten. Wir legen den Kranz nieder am
Gedenkstein, machen Aktionen zur Gruppe Schlotterbeck und treffen uns als offenes antifaschistisches Treffen im gleichnamigen Info- und Kulturladen. Deshalb ist die kontinuierliche Praxis am 9. November entscheidend, unweit des KZs sowie des Henkersteinbruchs. Notwendig aber bleibt, dass wir kämpfen und nicht in Passivität verfallen. In jeder Situation und auf allen Ebenen antifaschistisch agieren, das ist der Schluss, den wir aus der Geschichte ziehen. Ob im Verein, Betrieb, der Straße oder Nachbarschaft – wesentlich ist, dass wir uns zusammenschließen. Dass es gelang das offene Auftreten von Faschisten in der Region zurückzudrängen ist Ergebnis dieser Erkenntnis, und kann uns nicht von der Polizei, die selbst durchsetzt ist von Rechten, irgendeiner Partei, die den Rest des Jahrs mit ihrer Politik den Nährboden für deren Erstarken säht, noch durch irgendeine verbale Kante in einer Talkshow, die sonst selbst jene in die öffentliche Debatte einbindet, abgenommen werden.

Parteien wie die AfD, die sich mitunter als einzige Repräsentantin
der jüdischen Bevölkerung in Deutschland aufspielt und gleichzeitig von Antisemiten
durchsetzt ist, können wir nicht dulden. Faschisten, vor allem dann, wenn sie in
Machtpositionen drängen oder in unserem Wirkungskreis zu den Waffen greifen,
sind eine Gefahr für unsere jüdischen Geschwister und für alle, die für eine bessere
Welt kämpfen. Faschisten, die Jüdinnen und Juden der Geheimherrschaft und
Zersetzung beschuldigen oder sie bedrohen, sind Feinde. Faschisten, die
fortschrittliche und revolutionäre Kräfte zugunsten von Klassenversöhnung und
völkischer Einheit behindern oder bedrohen, sind Feinde. Lasst uns wachsam und
solidarisch bleiben und unseren Grundsatz nie vergessen: Erinnern heißt kämpfen!