Gestern waren wir zusammen auf der Kundgebung von dem „Rems-Murr gegen rechts“ Bündnis, zu der etwa 200 Menschen gekommen sind. Die Kundgebung hat anlässlich der Wahlen in Sachsen und Thüringen unter dem Motto „Zeit zu Handeln“ stattgefunden. Wir beteiligten uns mit selbstgebastelten Schildern, unserer Infostellwand zu der Kampagne „Antifa – jetzt erst recht!“ sowie einem Redebeitrag mit einer Analyse zu den Wahlen im Osten.
Im folgenden spiegeln wir den Bericht von dem „Rems-Murr gegen rechts“ Bündnis. Am Ende des Berichts findet ihr unsere Rede und die Rede von einem Migranten, der als Kind mit seinen Eltern aus dem Iran fliehen musste, weil sein Vater wegen seines politischen Aktivismus verfolgt wurde.
„Am heutigen Freitag hat unser Bündnis Rems-Murr gegen Rechts gemeinsam mit weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen, Gewerkschaften und anderen Antifaschist:innen eine Kundgebung auf dem Alten Postplatz in Waiblingen abgehalten.
Rund 200 Personen versammelten sich, um gemeinsam zu protestieren, Reden zu hören und Diskussionen zu führen. Den Anlass gaben uns die deutlichen Wahlsiege der AfD in Thüringen und Sachsen, mit denen erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine in Teilen faschistische Partei als stärkste Kraft in deutsche Parlamente einziehen konnte.
Unsere Moderatorin Lena merkte gleich zu Beginn der Kundgebung an, dass die Ergebnisse uns nicht kalt lassen und in aller Deutlichkeit zeigen, dass „antifaschistische Arbeit ganz grundsätzlich notwendig ist“.
Ob im Osten oder im Rems-Murr Kreis, die Gefahr wurde von einer “Brandmauer” Regierender oder vom Compact-Verbot nicht gebannt, im Gegenteil: Die allgemeine Rechtsentwicklung und eine immer stärker werdende extrem rechte Straßenbewegung befinden sich auf dem Vormarsch. Gerade letzteres zeigt uns, wie wichtig es ist, gemeinsam auf der Straße zu stehen. Auch wenn es manchmal müßig erscheint, die Straße ist und bleibt zentraler Ort der politischen Auseinandersetzung. Sie zu besetzen ist gerade jetzt notwendiger denn je.
Gemeinsam haben wir in Waiblingen ein Zeichen der Solidarität, gegen die AfD und gegen die zunehmende Rechtsentwicklung gesetzt. Dabei nutzen unsere Redner auch die Öffentlichkeit, um der zunehmend rassistischen Migrationspolitik und dem Abbau sozialer Errungenschaften klar zu widersprechen.
Zu Beginn der Kundgebung verlas die Moderatorin ein kurzes Grußwort von Andre Fricke, dem DGB Gewerkschaftssekretär in der Region Stuttgart, der leider nicht persönlich anwesend sein konnte. Darin sagte er unter anderem „aus unserer Geschichte und unserer tagtäglichen Arbeit heraus stehen wir für Vielfalt, Demokratie und Solidarität. Die rechtsextreme AfD ist das genaue Gegenteil. Sie ist durch und durch rassistisch, nationalistisch und arbeitnehmer:innenfeindlich. Sie bedroht mit ihrem Lügen und ihrer Hetze unsere Demokratie. Deshalb werden wir uns der AfD und anderen rechtsextremen und rechtsradikalen Kräften immer entgegenstellen!“
Als erster Redner der Abends durften wir Grazian vom Schorndorfer Bündnis gegen Rassismus und Rechtsextremismus e.V. begrüßen. In seiner Rede forderte er ein gutes Leben für alle, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder Hautfarbe. Dafür müssen wir uns gemeinsam einsetzen, so Grazian.
Nach der ersten Rede wurden Schilder mit der Aufschrift „Ich demonstriere gegen die AfD, weil…“ samt Stiften ausgeteilt. Verschiedenste Teilnehmer:innen der Kundgebung äußerten hier ihre ganz persönlichen Gründe und Sorgen, die entlang einer Wäscheleine quer entlang des Versammlungsorts angebracht wurden. Darunter waren zu finden: ich demonstriere gegen die AfD, weil „sie Politik für die Reichsten macht“, weil „Rechte keine Krisen lösen“ oder weil „sie gegen alles ist, was eine solidarische Gesellschaft ausmacht und uns Frauen wieder aus Berufen rausdrängen will“.
Die Kundgebung wurde musikalisch von Luis Zirkelbach, der mit seiner Gitarre live auftrat, stimmungsvoll untermalt.
Als zweite Rede des Abends durften wir Anna vom Offenen antifaschistischen Treffen begrüßen. In ihrer Rede ordnete sie die Wahlerfolge der AfD als ein nicht losgelöste Ereignis und kein reines „ostdeutsches Problem“ ein. Sie beschrieb, dass der Nährboden für den Aufstieg der AfD und Faschisten „nicht zuletzt die breite Unzufriedenheit mit der Politik der Ampel und den großflächigen Abbau sozialer Errungenschaften, dem Drücken von Reallöhnen und die Angst vor weiteren Kriegen“ sei.
Außerdem wunderte es sie nicht, dass die AfD gerade in ostdeutschen Bundesländern so erfolgreich ist. Sie stellt fest: „Besonders hoch ist dort die Angst vor einem sozialen Abstieg, besonders oft gaben die Wähler:innen vom vergangenen Sonntag an, der aktuellen Bundesregierung mit ihrer Wahlentscheidung einen Denkzettel verpassen zu wollen und 74 % der Ostdeutschen fühlen sich nach wie vor wie Bürger zweiter Klasse.“ Anna schloss ihre Analyse über die Zustände im Osten mit den Worten „eine in ihren Strukturen und führenden Köpfen zutiefst westdeutsche Partei – die AfD – begegnet den ostdeutschen Erfahrungen sozialer Deklassierung mit nationalistischen und rassistischen Angeboten und kann dabei auf eine rechte Basis bauen“. Außerdem lud sie die Anwesenden ein, beim offenen antifaschistischen Treffen aktiv zu werden und gemeinsam eine praktische Antwort auf das Erstarken der AfD und die rechte Welle zu entwickeln. Annas komplette Rede findet ihr unten.
Anschließend sprach ein Gewerkschafter, der selbst als Jugendlicher mit seiner Familie als politisch Verfolgter aus einem islamistischen Regime fliehen musste.
Seine Rede begann er damit, dass im kollektiven Gedächtnis der Ortsname Solingen nun nicht mehr für ein Pogrom von 1993 stehe, das mehrere Migrant:innen ihr Leben kostete, sondern für ein Attentat eines mutmaßlich islamistischen Täters. Er stellte fest: „Mindestens rund 200 Menschen, tatsächlich wahrscheinlich weit mehr, sind seit 1990 in Deutschland von Rechtsradikalen massakriert worden. Dieser neonazistische Terror ist für die Regierenden der BRD höchstens eine Randnote, wenn der Terror nicht gar von Sympathisanten in Polizei, Politik und Verwaltung mitgedeckt wird.”
Seit Solingen würde es erst recht brodeln, stellt der Redner fest: „Es wird ein erbarmungsloser Kampf gegen die islamistische Bedrohung oder besser gleich gegen alle Ausländer gefordert, die theoretisch einmal Islamisten werden könnten. Das Merkwürdige dabei ist, dass man bei der Recherche kaum etwas Handfestes dazu finden konnte, dass die Annahme, der Attentäter sei Islamist, belegen würde“
Stattdessen entspreche dies einer Verschärfung der ohnehin repressiven Asylpolitik der Regierenden und einer Diskursverschiebung von Rechts, die Menschen aus Afghanistan und Syrien zu Sündenböcken und generell zu Straftätern erklärt. Dass allerdings die Unterdrückung Geflüchteter erst den Nährboden für islamistische Agitation bietet, fällt gegenwärtig unter den Tisch.
Er hebt auch die Rolle der AfD darin klar heraus: „Der AfD und ihren Vorfeldorganisationen ist es gelungen, den politischen Diskurs maßgeblich zu prägen, vor allem wenn es um Migrationspolitik geht. Die bundesweite Einführung der Bezahlkarte für alle Geflüchtete geht sogar über die Forderung der AfD im Grundsatzprogramm 2016 hinaus, abgelehnten Asylbewerbern, statt Geld nur noch Sachleistungen zu gewähren. […] Bis auf die Linke folgen alle Parteien dieser neuen Linie in der Migrationspolitik.“
Zweck aller rassistischen Hetze, so der Redner weiter, sei die Spaltung der Gesellschaft und speziell die der Arbeiter:innenklasse, denn: „nichts tötet die Einheit der arbeitenden Massen im Kampf für eine gerechtere Welt wirksamer als die Ersetzung von wirtschafts- und sozialpolitischen Themen durch Kulturkampfthemen.“ Er schloss seine Rede mit dem Aufruf, dass wir gemeinsam protestieren und streiken müssen, um zu merken, dass „die Grenze eben immer noch zwischen oben und unten, und nicht wie gerade durchgehend herbei fantasiert wird, anhand nationalstaatlicher Grenzen, zwischen „innen“ und „außen“ verläuft.“ Auch diese sehr lesenswerte Rede findet ihr untenstehend.
Nach der letzten Rede des Abends kamen die Anwesenden noch für ein gemeinsames Foto als Zeichen der Solidarität zusammen. Neben roten und Gewerkschaftsfahnen trugen die Demonstrierenden Schilder und Banner, auf denen zum Beispiel „die rechte Welle brechen“ zu lesen waren. Es wurde „alle Zusammen gegen den Faschismus“ gerufen und Tischfeuerwerk gezündet.
Mit einem weiteren, letzten Lied von Luis Zirkelbach endete die Kundgebung. Anschließend wurden die Anwesenden eingeladen im Info- und Kulturladen Schlotterbeck in Waiblingen zu kühlen Getränken und einem gemeinsamen Austausch zusammen zu kommen.
Tage wie heute geben uns einen Hoffungsschimmer für die nächsten Jahre. Als Rems-Murr gegen Rechts haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, gegen die lokale Zersplitterung von Antifaschist:innen zu wirken und eine Art Dach zu sein, unter dem sich verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, antifaschistische Vereinigungen, und Bündnisse gegen Rechts oder für Demokratie zusammenfinden können. Unsere Schwerpunkte und Aktionsformen mögen unterschiedlich sein, aber sie tragen alle zu einer vielfältigenBewegung bei, die sich gegen die extrem rechte Gefahr auf verschiedene Weisen zur Wehr setzt.
Daran wollen wir auch nach heute weiter anknüpfen. Gegen die AfD und andere Faschisten!
Für eine sozialere Politik und eine solidarische Gesellschaft! Alle Zusammen gegen den Faschismus!“
OAT Rede 6.9.
06_09_migrantische_Rede_Kundgebung-Waiblingen