Heute waren wir mit rund 4.000 Menschen in Schorndorf auf der Straße, um unserem Protest gegen den Neujahrsempfang des AfD-Landesverbands in der Künkelinhalle Ausdruck zu verleihen. Zu diesem Zweck hatten wir zahlreiche Schilder, ein großes Hochtransparent und einen Redebeitrag dabei. Im Kontext der aktuell bundesweit stattfindenden Massenproteste halten wir es für zentral, antifaschistische und klassenkämpferische Inhalte weiter zu verbreiten, vor allem aber halten wir es für zentral, die gegenwärtige Politik der Herrschenden zu kritisieren!

Der Skandal um die „Geheimpläne“ der AfD, rechter Investoren und faschistischer Kräfte wie der Identitären Bewegung hatte zuletzt breite Teile der Gesellschaft aufgerüttelt. Diese Tatsachen jedoch dürfen unseres Erachtens nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Regierung und in der Gesellschaft seit Jahren ein Rechtsruck stattfindet. Die Parteien der „Ampel“ inszenieren sich momentan als federführend im Kampf gegen rechte Umtriebe, obwohl die von ihnen geschaffene politische Realität hierzulande der Agenda von AfD, Werteunion und Co. entspricht: Massive Verschärfungen des Asylrechts, eine anhaltende Politik des sozialen Abbaus sowie der bloßen Verwaltung von Energie- und Preiskrise sprechen eine eindeutige Sprache. Uns wundert es nicht, dass viele Menschen der Regierungspolitik wegen frustriert sind und dass die AfD eine solche Unzufriedenheit kanalisieren kann. Für unsere Rede, die dementsprechende Positionen beinhaltet und die ihr im Anhang dieses Textes findet, haben wir sowohl lautstarken Zuspruch als auch Kritik erhalten. Gerade jetzt im Moment ist unser größtes Anliegen, die rassistische und arbeiter:innenfeindliche Politik der Herrschenden zu entlarven, ohne im selben Zuge abschreckend und überheblich an interessierte Menschen heranzutreten.

Von vereinzelten Buh-Rufen von Funktionär:innen verschiedener Regierungsparteien sowie der CDU musste sich unsere Rednerin nicht beirren lassen, denn sie erhielt von den meisten Teilnehmer:innen vor Ort viel Zuspruch. Im Nachgang haben uns mehrfach Nachrichten auf Social Media erreicht, die Zuspruch und Dankbarkeit für unsere Inhalte bekundeten. Wir bedanken uns außerdem bei den Partner:innen aus dem Bündnis gegen Rechtsextremismus für deren praktische Solidarität und bleiben jederzeit offen für einen inhaltlichen Austausch.

Die an die Kundgebung anschließende Spontandemonstration zum Schorndorfer Bahnhof, an der ca. 700 Personen teilnahmen, werten wir als Erfolg, denn: Diese Beteiligung gab es offenbar nicht nur trotz, sondern gerade aufgrund des inhaltlich klaren Redebeitrags des OATs. Zudem gab es allem Anschein nach Störversuche innerhalb der Künkelinhalle, was wir ausdrücklich begrüßen. Wir stehen solidarisch hinter allen Kräften, die sich der AfD entschlossen entgegenstellen.

Die neuerlichen Massenproteste gegen rechte Kräfte haben das Potential, die AfD vor Probleme zu stellen. Allerdings kann dies nur gelingen, wenn die Proteste über eine symbolische Ebene hinausgehen. Erst ein langfristiges und verbindliches Engagement gegen rechte Politik, das auch eigene Perspektiven für eine gerechtere Gesellschaft aufzuzeigen vermag, kann eine nachhaltige Veränderung bewirken.

Alle zusammen gegen den Faschismus!

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Nachfolgend zitieren wir die Rede unseres OATs im Wortlaut:

Liebe Schorndorferinnen und Schorndorfer, Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich darf heute im Namen des Offenen antifaschistischen Treffens Rems-Murr sprechen. Schon seit über fünf Jahren organisieren wir Kundgebungen, Demonstrationen und Blockaden gegen die lokale AfD und andere Rechte. Wir leisten Aufklärungs- und Recherchearbeit.

Und das übrigens mit Erfolg! Noch vor ein paar Jahren war der Rems-Murr Kreis als „Hort rechter Umtriebe“ verschrien – mittlerweile hat der AfD-Kreisverband Schwierigkeiten, Räume für z.B. für öffentliche Stammtische zu finden. Ich bin sehr froh, dass so viele von Euch heute hier sind und wir gemeinsam so zahlreich gegen die AfD protestieren!

Die gesellschaftliche Empörung ist zu Recht groß, der Aufschrei laut. Dabei belegen die Enthüllungen der Correctiv-Recherchen etwas, was eigentlich längst bekannt war und lange nicht gehört werden wollte: AfD Funktionär:innen und andere einflussreiche Rechte wollen massenhaft Menschen mit Migrationshintergrund, Geflüchtete und Asylbewerber:innen abschieben. Sie schmieden dazu ganz konkrete Pläne, gemeinsam mit führenden Köpfen der Identitären Bewegung, CDU-Mitgliedern und millionenschweren Unternehmer:innen, die diese Pläne finanzieren sollen.

Wir können davon ausgehen, dass eine AfD an der Macht tatsächlich Massendeportationen von Millionen unserer Kolleg:innen bedeuten würde, also auch von einigen von uns, die heute hier auf der Kundgebung stehen. Offener Rassismus und Sexismus wären Staatsprogramm. Sie tun dabei so, als würde der Rassismus aus dem Volk kommen, als wäre er der unausgesprochene Wunsch der Mehrheit. Doch wir sehen, während Millionen von Menschen in Deutschland gegen Rassismus protestieren, schmieden sie ihre Pläne gemeinsam mit Großunternehmer:innen im Verborgenen. Das macht auch Sinn, wenn man sich das übrige Programm der AfD anschaut: Auch Geldgeschenke für Reiche und, durch Einführung der Rente ab 70 aufwärts, schuften bis ans Lebensende wären mit im Paket. Die Voraussetzung, eine Zerschlagung von Gewerkschaften sowie die völlige Aushöhlung von Tarifverträgen, bereiten Teile der AfD bereits vor. Für soziale Absicherung wäre kein Geld vorgesehen. Und obwohl sich die AfD zuletzt häufig als Friedenspartei darstellen durfte: Das ist sie nicht. Dafür reicht ein Blick in das Wahlprogramm von 2021, in dem die AfD die Widereinführung der Wehrpflicht fordert, die Bundeswehr finanziell besser aufstellen und ihre „Eigenständigkeit“ zurückgeben.

Wenn man das Abstimmungsverhalten im Bundestag der AfD-Fraktion im letzten Jahr betrachtet zeigt sich schnell, dass sie seit der Aufstellung dieses Wahlprogramms eben keinen grundlegenden Sinneswandel durchlaufen hat.

Wer sich fragt, wie es sein kann, dass laut aktuellen Umfragen fast 24% der Wählenden auf Bundesebene eine solche Partei wählen würden, kommt nicht umhin einen genaueren Blick auf das aktuelle Wähler:innenpotential zu werfen. Der größte Umfragesprung und der Beginn des massiven Zuwachs an potentiellen Wähler:innen geschah bereits im Sommer 2022 – von 11 Prozent im Juli auf 15 Prozent im September. Erinnern wir uns mal zurück: der Krieg in der Ukraine hatte gerade begonnen, die Inflation war auf einem Rekordhoch. Lebensmittel, Energiekosten und Benzin wurden fast schlagartig so teuer, dass viele Familien und Geringerverdiener:innen plötzlich am Ende des Monats kein Geld mehr für das Abendessen oder den Weg zur Arbeit zu hatten.

Währenddessen schlug der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschman als „Lösung“ vor, dass wir uns doch mit Waschlappen sauber halten sollen, um Energiekosten zu sparen.

Auch wenn ein Kern der AfD-Wähler:innen rassistisch, gefestigt rechtsradikal und frauenfeindlich ist, der Großteil wählt die AfD nicht weil sie rassistisch ist.

Kriegsangst, Energiekrise, Rekordinflation – das sind maßgebliche Gründe für den Stimmen- und Mitgliederzuwachs der AfD. Das zeigen auch andere Zahlen: zwei Drittel der AfD-Wähler:innen wollen ihre Stimme der Partei geben, weil sie von den anderen Parteien enttäuscht sind und rund die Hälfte der AfD-Anhänger:innen bewerten die eigene wirtschaftliche Lage als „weniger gut“ oder „schlecht“.

Es ist kein Zufall, dass ein Großteil derer, die aktuell die AfD wählen würden, sich im sogenannten „Mittelstand“ verortet – Facharbeiter:innen, Solo-Selbstständige, Handwerker:innen, Bäuer:innen. Viele davon sind jung.

Die AfD versteht es, den aktuellen Unmut, Zukunftsängste und Frustration, für sich zu nutzen und lenkt diesen bewusst in „rechte“ Bahnen. Dafür inszeniert sie sich immer wieder als „Partei der kleinen Leute“ und gibt eine einfache Antwort auf die aktuellen Sorgen: Schuld sind die Migrant:innen, die als Sündenböcke herhalten müssen.

Die Antwort der aktuellen Regierung ist dabei aber nicht, der Argumentation der AfD durch eine sozialere Politik den Boden zu entziehen. Im Gegenteil. Auch durch die Regierungsparteien weht ein merklich rechter Wind. Und ich sage das in dem Bewusstsein, dass eben nicht alle Wähler:innen der Ampelparteien und nicht alle Mitglieder der Basis mit dem Rechtskurs der Regierung einverstanden sind.

Aber ist es nicht so, dass bereits jetzt die Mauern der Festung Europa immer höher werden? Ist es nicht so, dass bereits jetzt an den deutschen Außengrenzen wieder Kontrollen durchgeführt werden? Ist es nicht so, dass die Debatte von der „maßlosen“ „Einwanderung in die Sozialsysteme“ Alltag geworden ist und nun auch Regierungskreise erreicht?

Schon jetzt sterben tausende Schutzsuchende jedes Jahr im Mittelmeer, schon jetzt ist Rassismus Alltag und schon jetzt werden Asylbewerber:innen nur danach beurteilt, ob und wie gut ihre Arbeitskraft dem Markt zugeführt werden kann. Es ist der gleiche Olaf Scholz der von gerade einmal 4 Monaten auf dem Spiegelcover forderte „Wir müssen endlich wieder im großen Stil abschieben“ der nun in Berlin gegen die AfD und „für unsere Demokratie“ protestiert. Die Grünen mögen es Rückführungen nennen, das neue „Rückführungsverbesserungsgesetz“ ebnet den Weg eben dafür, was die AfD fordert: massenhafte Abschiebungen. Der Kern bleibt derselbe – rassistische und menschenunwürdig. Auch wenn sich die führenden Köpfe der Ampelregierung jetzt Antifaschismus auf die Fahnen schreiben, sie sind es, die schon heute rechte Politik betreiben.

Dabei versuchen mit eigenen rechter Positionen der AfD die Wähler:innen abzugreifen. Das Ergebnis ist eigentlich erwartbar: Diese Versuche schwächen nicht die AfD, sondern befeuern in erster Linie deren gesellschaftliche Akzeptanz. Von rechter Realpolitik profitiert am Ende nur das Original: die AfD. Und eine weitere Funktion wird durch die rechte Realpolitik erfüllt, auch die Ampelregierung schafft es dadurch, von den tatsächlichen Ursachen der Unzufriedenheit abzulenken.

Während die Reallöhne in den letzten Jahren sinken, ist das Gesamtvermögen der fünf reichsten Deutschen seit 2020 um fast 74 Prozent auf 155 Milliarden US-Dollar quasi explodiert. Die Frage, ob die Büros der Chefetagen diverser besetzt sind und ob dort gegendert wird, ist verlogen, wenn ebendiese Büros immer noch die migrantische Frau für einen Hungerlohn reinigt. Während für uns kein Geld da sein soll, wird weiterhin aufgerüstet und über Nacht werden 100 Milliarden für Aufrüstung und Krieg verfügbar gemacht. Mit ihren neuen Haushaltsplänen hat die Ampel die heftigsten Angriffe auf den Sozialstaat seit der Agenda 2010 veranlasst und eine Milliarde beim Bürgergeld gestrichen, während sie die Preise durch Steuererhöhungen in die Höhe treibt. Und eben dies bietet die Grundlage für den Aufstieg der AfD. Und das ist erwiesen! Wenn Menschen der soziale Abstieg droht, steigt die extreme Rechte auf. Umso verlogener ist es, dass sich Scholz, Baerbock und Co. jetzt auf Demos gegen Rechts ablichten lassen.

Was können, was werden wir dem entgegensetzen?

So wie heute auf der Straße zu sein und sich mit so vielen Menschen der AfD direkt in den Weg zu stellen, ist genau richtig! Aber seien wir realistisch: nur heute auf die Straße zu gehen, das allein hat eher eine symbolische Wirkung. Es reicht auch nicht, von Parteiverboten zu reden. Dass die AfD einen faschistischen Flügel hat, weiß man nicht erst seit gestern!

Antifaschismus darf kein bloßes Lippenbekenntnis sein, er muss zur Haltung werden. Das nimmt uns, offensichtlich, niemand ab – keine Gerichte, keine Behörden und auch nicht die Polizei. Immer noch findet die AfD im Rems-Murr Kreis Räume, in denen sie Hass und Hetze vorbereiten und Menschen ihre Scheinlösungen unterbreiten können – wie heute hier in der Künkelinhalle oder immer wieder ganz in der Nähe in der Pizzeria Remstalstuben.

Es ist ein klares Zeichen, dass bereits über 1,5 Millionen Menschen eine Online Petition unterschrieben haben, um Björn Höcke unwählbar zu machen. Aber: Was wäre erst möglich, wenn die gleichen Leute anstatt dessen AfD-Infostände und Veranstaltungen verhindern, faschistische Aufmärsche blockieren, für die Schließung vom AfD-Kreisbüro in Korb demonstrieren oder Nazis im echten Leben bekämpfen würden? Wir müssen uns an 365 Tagen im Jahr gegen die AfD wehren – auf der Straße, in der Schule, im Betrieb! Ich lade euch natürlich herzlich ein, euch beim offenen antifaschistischen Treffen Rems-Murr zu engagieren. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass diese Empörung, dieser Widerstand nicht abreißt; dass mehr Menschen sich antifaschistisch engagieren, dass es mehr antifaschistische Gruppen und Organisationen gibt! Und: seien wir solidarisch mit allen, die nicht in das Weltbild von Faschisten passen! Rassismus spaltet, unser Kampf vereint!

Doch das beste Mittel um langfristig Nazis zu bekämpfen ist es, ihnen den Nährboden zu entziehen. Meinen wir „nie wieder“ ernst, müssen wir uns auch gemeinsam von unten für eine endlich sozialere Politik einsetzen! Denn es ist eben nicht in unserem Interesse, wenn die Regierung abschiebt, Kriege vorbereitet und dafür sorgt, dass die Reichen immer reicher werden. Und es ist erst recht nicht in unserem Interesse, wenn die AfD an die Macht kommt und einen noch viel autoritäreren Kurs anschlägt!

Lasst uns gemeinsam dafür einstehen, dass Reiche endlich mehr Steuern zahlen müssen! Kampf gegen Faschismus heißt auch kämpferische Tarifrunden, Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen! Arbeiter:innen dürfen keine Angst vor industrieller Veränderung haben müssen, Kampf gegen den Faschismus heißt auch Kampf gegen den drohenden sozialen Abstieg, Kampf gegen die Zermürbung der Sozialsysteme. Dafür müssen wir uns in den Gewerkschaften organisieren und auch dort die Auseinandersetzung suchen, klare Positionen gegen Rechts fordern und Kuschelkurse mit Kapitalist:innen beenden!

Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Ursache der hohen Inflation, die Ursache der hohen Energiekosten, die Ursache der hohen Preise, endet! Kampf gegen Faschismus heißt eben auch Kampf gegen den Krieg, gegen Aufrüstung, gegen Kriegsbeteiligungen und letztendlich gegen eine Politik, die Fluchtursachen schafft und rechten Kräften in die Hände spielt.

Und: Lasst uns darüber diskutieren, ob all das in diesem System überhaupt möglich ist oder ob es nicht langfristig ein Perspektive jenseits des Kapitalismus braucht, in der es keinen Platz für Ausgrenzung, Frauenfeindlichkeit und Faschismus gibt!

Und wenn ich mir anschaue, wie viele wir sein könnten – dann habe ich sogar ein wenig Hoffnung.

In diesem Sinne:

Die antifaschistische Aktion aufbauen!

Unsere Alternative: Klassenkampf!